“Es sind die kleinen, alltäglichen, persönlichen Widerstände, die zählen”

Sie heißen Hilde Gerber, Gretl Leicht, Julie Meyer oder Frieda Ott. Sie alle sind widerständische Frauen aus Nürnberg, die sich zu Zeiten des Nationalsozialismus gegen das Nazi-Regime gewehrt haben – doch kaum jemandem sind ihre Namen ein Begriff. Zum Gedenktag an das Ende des Krieges, am 8. Mai, möchten wir an mutige Frauen erinnern, die gegen Nationalsozialisten Widerstand geleistet haben. Annette Dahms forscht zu diesem Thema. Sie hat über 500 Frauen in Nürnberg ausfindig gemacht. Im Interview mit der Medienwerkstatt erzählt sie uns von ihren Beweggründen und der Recherche, die oft einer Detektivarbeit gleicht und noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird… 

Am 4. Juni zeigen wir den neuen Film von MW-Autorin Judith Dauwalter, der das Leben und den Mut der Fränkinnen Hilde Gerber, Gretl Leicht, Julie Meyer und Frieda Ott sichtbar macht. Ihre Geschichten stehen symbolisch für die vielfältigen Formen des Widerstandes mutiger Frauen, die oft unter Lebensgefahr gegen Nazis kämpften. 


Annette Dahms lebt seit den 80er Jahren in Nürnberg und war viele Jahre in der Jugendarbeit tätig, unter anderem für den Kreisjugendring Mittelfranken oder den Deutschen Gewerkschaftsbund. Neben ihrem Forschungsprojekt engagiert sie sich unter anderem bei der 2015 gegründeten Initiative „Straßennamen für den Widerstand”, die sich für eine Würdigung von zivilem Widerstand im öffentlichen Raum einsetzt und antifaschistische Stadtführungen anbietet.   

Heute ist der 8. Mai, der Tag der Befreiung. Was bedeutet dir dieser Tag? 

Annette Dahms: Dieser Tag ist schon sehr lange sehr wichtig für mich. Der Zeitraum, in dem mir die Relevanz des Tages so wirklich bewusst wurde, war wohl Ende der 60er. Damals gab es eine politische Debatte darüber, ob der 8. Mai ein Tag der Niederlage oder ein Tag der Befreiung sei, diese Debatte gibt es ja auch immer wieder. Das hat mich damals sehr politisiert. Je mehr Leute ich kennengelernt habe, die unter dem Faschismus gelitten hatten und die verfolgt wurden, desto mehr war klar, dass dieser Tag unbedingt eine Befreiung ist und gefeiert werden muss. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ war damals die Losung für die Verfolgten. Es gibt noch viel zu tun dafür.

2020 hast du einen Aufsatz in einem Themenheft des Testimonverlags veröffentlicht mit dem Titel „Frauen in Nürnberg im Widerstand gegen den Faschismus”. Warum? 

Annette Dahms: Zum einen wollte ich persönlich noch mehr über Widerstand in Nürnberg wissen, denn innerhalb dieses Themengebietes bewege ich mich schon recht lange: Ich war beim DGB für die Jugendarbeit zuständig und beim Kreisjugendring für den internationalen Jugendaustausch. Da wurden unter anderem Besuche in Auschwitz und Yad Vashem organisiert. Daher hat mich auch die Geschichte meiner Stadt interessiert. 

Warum konzentrierst du dich bei deiner Recherche auf Frauen? 

Annette Dahms: Eigentlich kennen wir in Nürnberg, wenn wir überhaupt widerständige Menschen auf lokaler Ebene kennen, im Zweifelsfall nur die Männer. Gerade mit der Diskussion um Gleichstellung, die in den letzten Jahren verstärkt aufgekommen ist, war das für mich ein Anreiz, das Thema fokussiert aufzugreifen. Sehr konkret hat sich mein Wunsch dann mit der Gründung der Initiative „Straßennamen für den Widerstand” gefestigt. 

Die Initiative hat jetzt erreicht, im Stadtteil Lichtenreuth 13 Straßen nach Widerstandskämfper*innen zu benennen. Doch als wir Vorschläge gesucht haben, war beim ersten Anlauf nur eine Frau dabei, die uns eingefallen ist. Da habe ich mir gedacht: Es muss mehr geben. Und das wollte ich dann herausfinden…

Wie definierst du Widerstand? 

Annette Dahms: Widerstand findet für mich nicht nur in großen politischen Ereignissen statt, sondern zeichnet sich auch in humanistischem Handeln aus: menschlich bleiben in einer unmenschlichen Umgebung. Dieser Punkt ist ganz zentral für mich. Auch „kleine” Gesten, wie etwa einem vorbeilaufenden Zwangsarbeiter, ein Stück Brot zu reichen oder einen jüdischen Menschen weiter zu grüßen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt inzwischen verboten war – es sind diese kleinen, alltäglichen, persönlichen Widerstände, die zählen. Das ist für mich “widerständisches Verhalten”, wie ich es gerne nenne. Mit dem Wort Widerstand verbindet man oft politische Komplotte oder große Attentate, doch jeder von uns kann “widerständisch” sein. Dieser Punkt ist mir ganz wichtig.

Du spürst diese Widerstandskämpferinnen aus der Region Nürnberg auf und hältst ihre Geschichten fest. Wie schwer ist das? 

Annette Dahms: Ich habe um die 500 Namen zusammengetragen. Das ist eine ziemlich detektivische Arbeit. Auf der einen Seite gibt es Frauen, die ich noch persönlich gekannt habe oder auf die ich durch Bekannte gestoßen bin. Außerdem gab es in den siebziger Jahren zwei Buchveröffentlichungen, in denen einige Namen von Frauen im Widerstand festgehalten wurden. Diese Bücher habe ich durchgearbeitet. Der nächste Schritt führte mich dann ins Stadtarchiv. Dort gibt es Akten über Zwangsarbeiter*innen und manchmal ist auch hinterlegt, ob diese Widerstand geleistet haben. Dann ging es ins Staatsarchiv Nürnberg. Dort sind die Sondergerichtsakten zu Verhandlungen – denn ein großer Teil der widerständischen Frauen ist ja auch früher oder später ins KZ oder Gefängnis gekommen. Dieser Prozess ist sehr mühsam, weil man sich oft stundenlang durch unglaublich viele Akten wühlen muss. 

Die Sondergerichtsakte der Nürnbergerin Frieda Ott. Bildquelle: Staatsarchiv Nürnberg, Sondergerichtsakte 181

Was fasziniert dich an dieser Arbeit? 

Annette Dahms: Ich mache diese Arbeit nicht nur, um in die Vergangenheit zu blicken, sondern auch, um zu zeigen, unter welchen Bedingungen man eigentlich etwas tun kann, sich für seine Mitmenschen einsetzen kann. Außerdem lerne ich durch diese Arbeit unglaublich viele spannende und inspirierende Menschen kennen.

Gibt es eine Widerstandskämpferin, deren Geschichte dich besonders berührt oder beschäftigt hat? 

Annette Dahms: Ja, die Geschichte von Kuni Schwab-Schumann hat mich sehr beeindruckt. Ich kannte sie persönlich und auch nach dem Krieg war sie noch unglaublich aktiv. Obwohl sie massiv verfolgt wurde, war sie nicht gebrochen. Sie hat als junge Frau im Untergrund geholfen, kommunistische Texte zu tippen und zu verteilen und war schon seit den frühen 30er Jahren im Widerstand gegen die Nazis aktiv. Sie ist dann verhaftet worden und hat sich selbst gestellt, weil ihre Familie sonst in Gefahr gewesen wäre. Zusammen mit der Roten Hilfe hat sie nach ihrer Freilassung weiter Menschen in Not geholfen und beispielsweise Gelder unter Lebensgefahr verteilt. Es freut mich sehr, dass eine Straße in Lichtenreuth nach ihr benannt wird und sie dadurch auch endlich öffentlich Würdigung erfährt. 

Außerdem hat mich die Geschichte von Frieda Ott, die auch in der MW-Doku vorkommt, sehr berührt. Sie war bei den Zeugen Jehovas aktiv, die massiv verfolgt wurden, und bekannte sich offen als Kriegsgegnerin. Sie ist von Tür zu Tür gegangen und hat mit Menschen über den Krieg diskutiert. 

Was hoffst du, was die Zuschauer*innen mitnehmen?

Annette Dahms: Dass es wichtig ist, menschlich zu bleiben und Mut zu haben. Es gibt immer etwas, was man gegen Ungerechtigkeit tun kann. Man kann sich immer widerständisch verhalten – und, dass dies notwendig ist, selbst, wenn es gefährlich ist. Das würde ich gerne weitergeben. 


Interview: Valeska Rehm

Der Film Mit bumberndem Herzen – Fränkinnen gegen die Nazisvon Judith Dauwalter läuft am Sonntag, 4. Juni, 19, 21 und 23 Uhr im Franken Fernsehen. Wiederholung: Sonntag, 11. Juni, 19, 21 und 23 Uhr im Franken Fernsehen // Livestream zu den Sendezeiten auf frankenfernsehen.tv

 

Weitere Filmen zu lokalem Widerstand aus dem letzten Jahren:

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