Die Sendung am Sonntag gibt obdachlosen Jugendlichen in Nürnberg ein Gesicht und eine Stimme.


„Überlebenskünstler*innen“ lautet der Titel des Films, den wir am Sonntag, 1. November (Wiederholung 8. November), senden. Die Doku zeigt das Leben junger wohnungsloser Nürnberger*innen und ihren Alltag auf der Straße. Autorin Bianca Schwarz erzählt uns im Interview, wie sie mit den Jugendlichen in Kontakt getreten ist und wie sie die Dreharbeiten für sich persönlich erlebt hat.

Bianca, wie bist du bei der Recherche vorgegangen? 

Da muss ich etwas ausholen: Für ein Semesterprojekt in meinem Studium (Soziale Arbeit) hatte ich mit Kommiliton*innen bereits an einem Film über Jugendobdachlosigkeit in Nürnberg gearbeitet. Das hat mir einen guten Einblick in das Themengebiet und die Situation hier vor Ort verschafft. Nach dem Studium hab’ ich dann ein halbes Jahr lang im Don Bosco Jugendwerk in einem Projekt für obdachlose Jugendliche gearbeitet. In dieser Einrichtung bekommen die Betroffenen eine warme Mahlzeit, können ihre Angelegenheiten klären, oder einfach nur abhängen. Durch die Arbeit bin ich schnell mit den jungen Obdachlosen in Kontakt gekommen.

Wie viele obdachlose Jugendliche gibt es in Nürnberg?

Die Zahl schwankt stark. Vielen Passanten fallen die Jugendlichen im Alltag nicht auf – das liegt vor allem daran, dass man ihnen die Obdachlosigkeit auf den ersten Blick nicht ansieht. Klar gibt es die typischen “Straßenpunks”, die durch ihr Äußeres herausstechen oder am Hauptbahnhof sitzen und schnorren, aber den allermeisten sieht man ihre Lebenssituation nicht direkt an. Diesen Sommer kam es vermehrt vor, dass Einrichtungen gesagt haben: “Zu uns kommen momentan keine Jugendlichen, wir wissen nicht, wo die sind”. Vielleicht, weil die Angebote wegen Corona und der Maskenpflicht zu hochschwellig waren. Zu anderen Zeiten werden die Hilfsstellen dann aber wieder total eingerannt.

Warum werden Jugendliche obdachlos? 

Oft trifft es Jugendliche, die aus dem System fallen, die schon in zig Einrichtungen waren und aus einem kaputten Elternhaus stammen – also schon von klein auf einen schweren Start ins Leben hatten. Teilweise ist das Auffangsystem dann zu hochschwellig, als das Jugendliche, die z.B. durch Drogensucht und psychische Krankheiten mehrfachbelastet sind, daran anknüpfen können. Hinzu kommt noch, dass das Jugendamt in vielen Fällen ab der Volljährigkeit nicht mehr zuständig ist. Aus der Not heraus entscheiden sich viele Jugendliche dafür, lieber auf der Straße zu leben, als in einem Jugendheim unterzukommen. Außerhalb der Einrichtungen können sie ihrer Meinung nach ein selbstbestimmteres Leben führen und sind frei von einem System, in das sie nicht passen und dem sie nicht vertrauen.

Was sollte sich ändern? 

Es gibt zwar viele gute Hilfsangebote in Nürnberg, oft kommen diese jedoch sehr spät. Ich denke, dass man wesentlich früher ansetzen müsste, um nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen der Obdachlosigkeit zu bekämpfen. Es sollte mehr für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit getan werden – denn die Jugendlichen sind letztlich Produkte ihrer Umwelt und schutzbedürftig.

Du warst sehr nah an den Jugendlichen dran, hast sie zum Grillen begleitet und warst mit ihnen schnorren. Wie war das für dich persönlich? 

Ich war sehr dankbar dafür, dass uns das nötige Vertrauen entgegengebracht wurde und wir in ihren Alltag eintauchen durften. Wichtig war mir, auf Augenhöhe zu kommunizieren und Lynn und Kevin klarzumachen, dass wir keine schlechten Absichten haben, oder uns nichts daran liegt, sie in einem schlechten Licht darzustellen. Den fertigen Film habe ich den Protagonist*innen dann auch vor Ausstrahlung gezeigt. Mein Ziel war es von Anfang an, zu dokumentieren, was die Jugendlichen bewegt und einen Einblick in ihre Lebensrealität zu geben.

Was machen die Jugendlichen jetzt im Winter? 

Einer der Protagonisten lebt mittlerweile auf einem Wagenplatz und schläft in seinem Bauwagen. Lynn wohnt unter der Brücke und wird den Winter dort in ihrem Zelt verbringen. Bei Kevin ist es unsicher. Es gibt viele Jugendliche, die auch die Wintermonate über auf der Straße schlafen. Es gibt zwar eine Notschlafstelle für junge Obdachlose in Nürnberg, da dürfen die Jugendlichen allerdings nur bis zu sechs Tage im Monat übernachten. 

Wer sollte den Film sehen? 

Der Film soll Einblick geben in eine Lebensrealität, die viele Menschen, die sonntags daheim vorm Fernseher sitzen, eher nicht kennen. Die Jugendlichen haben mir erzählt, dass sie für ihre Situation oft verurteilt werden. Ich hoffe, dass die Doku die Hintergründe aufzeigen kann, die dazu geführt haben, dass sie die Straße als derzeit einzige Option für sich sehen und den Betroffenen dadurch mehr Verständnis und Offenheit entgegengebracht wird. Man darf nicht wegschauen. Jugendobdachlosigkeit ist ein Teil unserer Gesellschaft und darüber muss gesprochen werden.

 

Die Medienwerkstatt-Doku „Überlebenskünstler*innen – Jugendobdachlosigkeit in Nürnberg“ läuft am Sonntag, 1. November  um 19, 21 und 23 Uhr im Franken Fernsehen. Wiederholung ist eine Woche später, am 8. November zu den gleichen Sendezeiten.