Faszinierende Architektur in Nürnberg? Klar, die gibt es: Mittelalterliches Fachwerk, Gründerzeitvillen, die Kaiserburg. Kaum einer denkt jedoch an die Architektur des Wiederaufbaus nach dem 2. Weltkrieg – obwohl sie im Stadtbild allgegenwärtig ist.


„Der Reiz des Unscheinbaren“ lautet der Titel des Films, den wir am Sonntag, 28. Juni, zeigen. Die Doku widmet sich der Nürnberger Nachkriegsarchitektur, für die die meisten Passanten im Alltag keinen Blick übrig haben. Autor Robert Lohner erzählt uns im Interview, wie er dank einer Postkarte und eines VW-Käfers seinen Blick für die Bauwerke schärfen konnte. 

Robert, du hast dich in deinem neuen Film mit der Nachkriegsarchitektur in Nürnberg auseinandergesetzt. Wie bist du auf das Thema gestoßen? 

Vor einigen Jahren war ich  bei der Jahresausstellung der Akademie der Bildenden Künste – an dem Tag war ich mit meinem VW Käfer unterwegs. Als ich zum Auto zurückkam – ich hatte meine Fensterscheibe ein wenig offen gelassen – lag darin eine Postkarte von Claus Baierwaldes, einem Nürnberger Architekturfotografen. In seiner Nachricht fragte er mich, ob mein Käfer Modell stehen möchte für die Nachstellung eines historischen Fotos eines Nachkriegsbauwerks.

Um welches Gebäude ging es? 

Das heutige Heimatministerium am Lorenzer Platz. Früher wurde das Gebäude noch als bayerische Landesbank genutzt. Auf den damaligen Pressefotos, die kurz nach der Eröffnung gemacht wurden, stand ein VW-Käfer vor dem Gebäude . Im Zuge dieser Begegnung haben wir uns auch über den Wiederaufbau in Nürnberg ausgetauscht. Claus hat mir als Dankeschön einen Rundgang durch die Lorenzer Altstadt versprochen. Durch dieses Erlebnis habe auch ich einen ganz anderen Blick auf die Architektur der 50er Jahre bekommen. Ich habe angefangen hinzuschauen und verstanden, dass das Klischee, man habe in der damaligen Zeit einfach schnell Wohnraum gebraucht und deshalb irgendwas hingestellt, auf Nürnberg nicht zutrifft. Zumindest nicht in allen Fällen.

Die Rückseite der Postkarte

 Die Vorderseite der Postkarte

 

 

 

 

 

 

 

 

Was war in Nürnberg so besonders?

1947 hat die Stadtverwaltung Nürnberg – sicher auch unter Druck der Alliierten Besatzungsmächte – einen Wettbewerb in Nürnberg veröffentlicht, der hieß “1000 Ideen für Nürnberg”. Da hat jeder, der interessiert war, eine Art Karteikarte bekommen und konnte Ideen für den Wiederaufbau einreichen. Das muss man sich mal vorstellen: Da haben die Leute davor in einer Diktatur gelebt, in der sie nichts entscheiden durften und auf einmal hat man sie gefragt: Wie soll denn eure Stadt ausschauen? Diese Idee war basisdemokratisch. Zwei Jahre später gab es dann den offiziellen Aufruf zum Wiederaufbau der Stadt, da hat man Architekten aus ganz Deutschland eingeladen, Vorschläge einzureichen. Es gab also einen konkreten Plan: Da, wo es nötig und möglich ist, werden historische Gebäude wieder aufgebaut. Ansonsten werden Bauten entworfen, die ins Stadtbild passen. 

Das erinnert ein wenig an den Ideenwettbewerb der Kulturhauptstadtbewerbung 2025.

Stimmt! Man hat jetzt für die Kulturhauptstadtbewerbung die Bürger auch in den Prozess einbezogen. Das haben die vor 70 Jahren ebenfalls schon versucht. Vielleicht unter wagen Vorstellungen, wie das dann konkret werden könnte, aber die Idee war da. Diese Art von Wettbewerb, das haben mir Historiker bestätigt, war deutschlandweit einmalig.

Du bringst also gern verborgene Themen an’s Licht! 

Ja, schon ein bisschen. Die Gespräche mit den Zeitzeugen waren unglaublich spannend und bereichernd, denn mit ihnen stirbt ja auch der Zugang zu diesen verborgenen Themen… und vielleicht ist deswegen auch mein Film entstanden, weil ich mir denke: Ja, das Dürerhaus ist schön und auch das alte Pellerhaus. Aber die Nachkriegszeit und ihre Bauwerke, das hat die Menschen damals geprägt, ob’s mir jetzt subjektiv gefällt, oder nicht. Sie sind Teil von Nürnberg und Teil der Identität dieser Stadt – das sollte erkannt und erhalten werden!

Was möchtest du mit dem Film erreichen?

Dass Menschen mit offeneren Augen durch die Stadt gehen. Wie der Titel des Films schon sagt: es geht um den Reiz des Unscheinbaren. Um freischwebende Treppen, handfreundlich designte Türgriffe, kleine Kunstwerke an Häuserfassaden. All das hat die Architektur der 50er Jahre zu bieten. Doch vielen fällt das oft gar nicht auf. Es wäre schön, wenn unser Film dafür den Blick weitet. 

 

 

Die Medienwerkstatt-Doku „Vom Reiz des Unscheinbaren – Nürnbergs Wiederaufbau in den 50er Jahren“ läuft am Sonntag, 28. Juni  um 19, 21 und 23 Uhr im Franken Fernsehen. Wiederholung ist eine Woche später, am 5. Juli zu den gleichen Sendezeiten.