Seit über acht Jahren herrscht Krieg im Osten der Ukraine. Seit einem Jahr tobt er im ganzen Land. Die Medienwerkstatt hat sich 2022 thematisch mit den Auswirkungen des Krieges befasst. Anfang März bombardierte die russische Armee Nürnbergs Partnerstadt Charkiw. Wir beschäftigten uns deshalb mit der Frage, wie sich der Krieg auf die Städtepartnerschaft und die betroffenen Menschen in Nürnberg und der Ukraine auswirkt. Im Frühling stellten wir regionale Hilfsprojekte für Ukrainer*innen und die Menschen, die dahinterstecken, vor. Eine von ihnen ist Diana Zypina. Wir haben bei ihr nachgefragt, wie es ihr seit der Ankunft in Nürnberg geht und wie sie mit dem Jahrestag des Krieges umgeht.
Diana Zypina ist letztes Jahr mit ihrem Sohn aus Charkiw geflüchtet. Im Auftrag des Partnerschaftsvereins Charkiw-Nürnberg leitet sie Deutschkurse für Geflüchtete.
Am Freitag jährt sich der Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal. Wie wirst du den Tag verbringen?
Ich gehe ganz normal zur Arbeit. Ich unterrichte den Deutschkurs für ukrainische Geflüchtete beim Partnerschaftsverein Nürnberg-Charkiw. Diesen Kurs leite ich seit April letzten Jahres. Danach gehe ich zur Gedenkkundgebung am Kornmarkt. Das ist wichtig für mich, für alle Ukrainerinnen und Ukrainer, die derzeit in Nürnberg leben. Wir wollen unsere Solidarität zeigen. Es wird sehr schmerzhaft. Der Krieg läuft seit einem Jahr – und kein Ende ist in Sicht.
Ist es für dich schwierig, durch deine Arbeit mit geflüchteten Ukrainer*innen, jeden Tag aufs Neue mit dem Krieg konfrontiert zu werden?
Wir geben uns im Unterricht Mühe, die schlechten Nachrichten nicht zu besprechen. Wir beschäftigen uns mit Grammatik und Vokabular. Aber natürlich kommt man ins Gespräch und die Leute erzählen, wie es ihnen und ihren Familien in der Ukraine geht. Trotz allem leben sie auch ihr eigenes Leben hier: Sie besuchen den Integrationskurs und beschäftigen sich damit, wie ihr Leben nach der B1-Prüfung aussehen wird und was sie dann weiter hier in Deutschland machen möchten. Einige wollen eine Ausbildung machen oder ihr Diplom anerkennen lassen. Aber klar ist auch: in der Zukunft möchten wir alle in die Ukraine zurückkehren. Gerade wäre es viel zu gefährlich. Deshalb muss man ein Stück weit auch sein Leben hier aufbauen. Sonst fällt man in ein Loch.
Wie geht es dir momentan?
Ich vermisse meine Verwandten und meine Heimatstadt und den Frieden. Ich spreche jeden Tag mit meinem Mann und meiner Mutter in Charkiw. Wir tauschen Informationen aus, darüber, was wir gehört haben und was es Neues gibt. Über Schlechtes versuchen wir aber nicht so viel zu sprechen. Ich gehe viel zu Veranstaltungen in der Musikhochschule, die bieten oft kostenlose Konzerte an – diese Dinge erzähle ich ihnen. Gleichzeitig fühle ich mich aber oft zerrissen und schuldig, dass ich diese Möglichkeit habe, Konzerte zu besuchen, während meine Landsleute im Krieg sind.
Wie geht es deiner Familie in der Ukraine?
Man kann nicht sagen, dass sie sich an die Luftsirenen gewöhnt haben, aber es gehört doch irgendwie dazu. Fast jeden Tag werden verschiedene Gebäude in der Stadt durch Bombardierungen zerstört. Es wäre nicht richtig, zu sagen, dass die Zerstörung und das Leid zum Alltag gehören, aber es ist mittlerweile nicht mehr überraschend.
Habt ihr euch in Nürnberg gut eingelebt?
Zuerst haben wir bei einer Gastfamilie gelebt. Mit Ute und Gisbert stehen wir noch immer in Kontakt und sind ihnen sehr dankbar. Man hat uns geholfen, eine eigene Wohnung zu finden, was sehr schwer war, doch im November hat es geklappt und wir konnten umziehen. Mittlerweile arbeite ich außerdem auch als Deutschlehrerin in einer Brückenklasse am Gymnasium. Ich würde sagen, insgesamt habe ich mich hier gut eingelebt.
Wie geht es deinem Sohn? Vor Kriegsbeginn stand er ja kurz vor seinem Abitur…
Mittlerweile studiert mein Sohn Informatik an der Charkiwer Wirtschaftsuniversität. Alle Vorlesungen und Seminare laufen im Onlineformat. Er besucht auch den Integrationskurs, schließt zur Zeit seinen B1-Kurs ab und lernt Deutsch. Er versucht, die Zeit zu nutzen und sich weiterzubilden.
Ist das ein Weg für Euch, mit der Situation umzugehen?
Ich glaube schon. Man muss immer optimistisch bleiben. Die Menschen müssen irgendwie weiterleben. Neulich war ja Valentinstag, auch in der Ukraine feiert man diesen Tag. Ein Bekannter hat mir ein Video aus Charkiw zugesendet:. Die Leute bummeln durch das Einkaufszentrum, eine Band spielt. Schöne Musik, verliebte Menschen. Das Leben geht weiter. Es ist unvorstellbar, dass der Krieg immer noch läuft. Die Leute freuen sich über jeden Tag, den sie erleben dürfen und leben mit der Hoffnung auf Frieden.
Wie hast du dich gefühlt, als nach langem Zögern beschlossen wurde, die Leopard 2 Panzer zu liefern?
Ich war sehr erleichtert. Ohne die Waffenlieferungen ist es nicht möglich, die russische Armee zu bekämpfen. Nur mit Waffenlieferungen aus dem Ausland können wir uns verteidigen.
Wie blickst du in die Zukunft? Was denkst du, wo wir in einem Jahr stehen?
Dann haben wir Februar 2024 – ich hoffe sehr, dass der Krieg bis dahin beendet sein wird. Ich denke, dass das in diesem Jahr eher nicht der Fall sein wird.
Doch auch wenn der Krieg vorbei ist: Es wird nicht einfach sein für alle, die in die Ukraine zurückkehren – gerade im Osten des Landes. Die Industrie funktioniert nicht mehr. Es wird dort zunächst nur schwer möglich sein, eine Arbeitsstelle zu finden. Große Teile der Infrastruktur sind zerstört.
Was gibt dir Kraft?
Ich bewundere unseren Oberbürgermeister. Er verspricht, dass alle Stadtteile, die besonders von den Bombardierungen betroffen sind, schnell wieder aufgebaut werden. Wir glauben ihm. Er gibt sein Bestes für die Charkiwer Bewohner. Wenn Wasserleitungen oder Kraftwerke zerstört werden, kommen sofort Ingenieure und beginnen mit den Reparaturarbeiten. Außerdem gibt mir die Arbeit des Partnerschaftsvereins Nürnberg-Charkiw Kraft. Im Winter wurden beispielsweise Generatoren an Krankenhäuser und beheizbare Zelte für Menschen, deren Häuser zerbombt wurden, geliefert. Wir brauchen diese praktische und schnelle Hilfe und darüber bin ich sehr dankbar.
Was machen deine Verwandten am Freitag?
In Charkiw finden keine Veranstaltungen statt. Wir haben Angst, dass an diesem Tag etwas Schlimmes passiert. Daher ist es ratsam, das Haus nicht zu verlassen. Ich habe die Information aus meiner Universität bekommen, dass alle Mitarbeitenden zu Hause bleiben sollen und dass dazu aufgerufen wird, sehr vorsichtig zu sein.
Wie blickst du in die Zukunft?
Wir haben einen starken Willen. Ich versuche, nicht den ganzen Tag rumzusitzen und Nachrichten zu lesen. Ich bin Optimistin. Ich mache einfach weiter meine Arbeit und fokussiere mich auf die Leute, die aus der Ukraine kommen und meine Hilfe brauchen.
Solidaritätskundgebung für die Ukraine: 24. Februar, um 18:30 am Kornmarkt im Anschluss an das Friedensgebet in der Lorenzkirche (ab 17:00 Uhr).
Interview: Valeska Rehm