2017 hat die Medienwerkstatt das „Internationale Frauencafé“ porträtiert, eine Beratungsstelle für geflüchtete Frauen in Nürnberg. Inzwischen ist die Beratung um geflüchtete LGBTIQ* erweitert worden und firmiert unter dem Namen „Rosa Asyl“. Die Medienwerkstatt hat sich mit den Mitarbeiter*innen Claudia Geßl, Elshaday Haile und Farzaneh Ezati zum Interview getroffen und nachgefragt, wie der Verein und die Klient*innen von Rosa Asyl durch die Pandemie kommen.
Claudia Geßl ist Mitbegründerin des Internationalen Frauencafés und somit seit 2007 dabei. Elshaday Haile, einst selbst aus Eritrea geflüchtet, ist inzwischen hauptamtliche Beraterin. Farzaneh Ezati hat früher als Übersetzerin für das Internationale Frauencafé gearbeitet, koordiniert den Cafétreff und unterstützt im Asylverfahren.
Der Film „Wir kämpfen für jede einzelne Frau“ ist 2017 entstanden, seitdem hat sich unheimlich viel verändert. Fangen wir mit Corona an. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf eure Arbeit gehabt?
Farzaneh: Die ersten sieben Wochen am Anfang der Pandemie war unser Büro geschlossen und es konnte auch kein offenes Café stattfinden. Normalerweise wird das Café von 50 – 80 Frauen besucht. Dadurch gab es viele Nachfragen über unsere WhatsApp-Gruppe: Wann macht ihr endlich wieder auf? Wir hatten dann immer wieder geschlossen oder geöffnet, aber mit Einschränkungen: Es durften nur noch 30 Frauen kommen und ab Herbst 2021 mussten sie geimpft oder genesen sein, das waren die Vorgaben der Villa Leon. Vorher galt die 3G-Regelung.
Claudia: Richtig geschlossen hatten wir allerdings nie. Wir haben telefonisch beraten und waren eine der wenigen Einrichtungen, die immer offene Telefonsprechzeiten angeboten haben; die Frauen konnten uns Dokumente durchs Fenster reichen oder wir haben Biertische vor die Tür gestellt und draußen beraten oder sind mit ihnen spazieren gegangen. Außerdem haben wir drei Arbeitshandys angeschafft, über die wir rund um die Uhr erreichbar waren. Nur die Deutschkurse haben online nicht geklappt, da waren unsere Frauen abgehängt.
Elshaday: Im Asylheim gibt es kein WLAN, Internet kostet immer extra und es gibt keine oder nur schlechte Verbindung.
Die Situation geflüchteter Frauen in Asylheimen war schon vor Corona extrem schwierig; sie waren häufig Gewalt ausgesetzt, hatten keine Privatsphäre für sich und ihre Kinder. Wie erging es ihnen unter Coronabedingungen?
Farzaneh: Wir haben gemerkt, dass es noch mehr Gewalt gegen Frauen gab. Häusliche Gewalt wurde jetzt auch bei Paaren zum Problem bei denen das vorher kein Thema war. Und dann gab es immer wieder Anrufe von Frauen, die sexuell angegriffen worden waren.
Claudia: Wir haben letztes Jahr eine Pressekonferenz genau zu diesem Thema gemacht, auf der vier Frauen von ihren Erfahrungen in Asylunterkünften berichteten. Eine Frau aus dem Iran ist nur knapp einer Vergewaltigung durch einen Security-Mitarbeiter entgangen. Eine Frau aus Ghana mit drei Kindern ist von ihrem Nachbarn belästigt und bedroht worden. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Elshaday: An einem Freitag Nachmittag hat mich eine Frau aus einem Asylheim in Kronach angerufen. Sie wollte unbedingt umziehen. Aber sie hat nichts Genaueres erzählt, obwohl ich nicht locker gelassen und nachgefragt habe. Für den Montag darauf haben wir dann einen persönlichen Beratungstermin vereinbart. Dazu ist es nicht mehr gekommen, am Samstag ist die Frau und ihre zweijährige Tochter von ihrem Ex-Partner in der Unterkunft ermordet worden. Wenn sie ein bisschen mehr geschildert hätte, hätte ich die Polizei rufen oder sie vielleicht in ein Frauenhaus bringen können.
Claudia: Einige Frauen, die mit dort wohnten, waren auf unserer Pressekonferenz dabei. Sie haben über Tage versucht, diesen Mann abzuhalten. Keiner hat ihnen geglaubt; der Mann war aus Marokko, konnte besser Deutsch, er lebte in derselben Unterkunft wie die Frau.
Solche Tötungen wären vermeidbar, wenn die Beratungsstellen erreichbar wären und die Gewaltschutzkoordination funktionieren würde. Aber in den Lagern bist du isoliert, keiner hört dir zu, keiner hilft dir. Und dieser Ex-Freund war eine tickende Zeitbombe, er hatte den Mord mehrfach angedroht. Danach hat er sich mit Benzin übergossen, hat aber überlebt. In den Meldungen hieß es zunächst, es hätte einen Brand in einer Asylunterkunft gegeben.
Elshaday: Und obwohl die Frau mehrmals die Polizei angerufen hat oder sogar da war, haben sie es nicht geschafft, entweder sie und ihr Kind oder den Mann woanders unterzubringen. Sie haben sie nicht ernst genommen.
Claudia: In Nürnberg gibt es eine Notschlafstelle für geflüchtete Frauen, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind und auch Unterkünfte nur für Frauen und deren Kinder. In Kronach sieht das anders aus.
Für die Betroffenen ist es wie Lotto-Toto: Wie sind die Städte drauf, in denen sie landen, wie sensibilisiert sind sie, gibt es ein Gewaltschutzkonzept usw… In Nürnberg sind wir zum Glück gut aufgestellt.
Nur die Unterbringung bleibt ein Problem. Man hätte jetzt denken können, in Zeiten der Pandemie werden Lager aufgelöst, weil es dort hygiene- und gesundheitstechnisch schwierig ist: Gibt es einen Coronafall, wird eine ganze Etage dicht gemacht und alle gelten automatisch als Kontaktperson.
Elshaday: Manche unserer Klient*innen haben ihre Arbeit verloren, weil sie so oft in Quarantäne waren. Andere haben ihre Arbeit oder ihren Aufenthaltstitel verloren, weil das Einwohnermeldeamt in Nürnberg nur online erreichbar war und es keine Termine zur Passverlängerung vor Ort gab – die Online-Formulare konnten die Frauen aber nicht ausfüllen.
Eure Arbeit hat sich inzwischen sehr verändert. Das „Internationale Frauencafé“ ist nun Teil des Projekts „Rosa Asyl“. Neben geflüchteten Frauen bietet ihr auch geflüchteten LGBTIQ* Beratung und Begleitung im Asylverfahren. Wie kam es dazu?
Claudia: Als Lissy (Elisabeth Schwemmer, die Mitbegründerin des Internationalen Frauencafés, Anm. d. Red. ) noch dabei war, haben wir den Begriff „Rosa Asyl“ kreiert. Rosa ist einerseits seit 30 Jahren symbolische Farbe der Homesexuellen-Bewegung, andererseits auch passend für den Frauenbereich, wenn man z.B. an Rosa Luxemburg denkt. Deswegen haben wir gedacht, der Begriff vereint beide Bereiche, aber es führt natürlich immer wieder zu Verwirrungen.
Wir hatten schon viele Klient*innen aus der Queer-Szene, und Fliederlich (der Verein Fliederlich e.V. bietet Beratung und Infos für LGBTIQ*, Anm. der Red. ) betrieb bereits Unterkünfte für Queer-Geflüchtete. Also sind wir auf Fliederlich zugegangen und haben das Projekt erweitert, der Frauenbereich ist dabei inhaltlich gleich geblieben.
Warum ist die Beratung queerer Geflüchteter wichtig?
Claudia: Für mich sind LGBTIQ* Menschen genauso vulnerabel, genauso vom Patriarchat betroffen wie Frauen. Die angeblich biologischen Unterschiede sehe ich als Konstrukt.
Elshaday: Und es stand schon immer die Frage im Raum: Wenn lesbische Frauen in die Beratung kommen können, warum nicht z.B. auch schwule Männer? Sie haben ja ähnliche Probleme.
Farzaneh: Ein Beispiel aus dem Iran: Homosexuelle Männer werden vom Wehrdienst ausgeschlossen – ob sie das wollen, oder nicht. Wenn sie in einer Beziehung sind, werden sie festgenommen, im Gefängnis erniedrigt, verfolgt. Sie können nicht frei leben. Wenn sie dann hier sind, wissen sie oft gar nicht, dass hier andere Rechte gelten.
Claudia: Deswegen ist es so wichtig, dass wir aufsuchende Arbeit leisten und die Geflüchteten ermutigen, alles offen zu erzählen. Tobi (Tobias Wöhner, berät LGBTIQ* im Asylverfahren bei Fliederlich, Anm. d. Red.) hat viele Geflüchtete vor dem ersten Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erreichen können. Wenn sie merken, dass sie sich öffnen dürfen reden die Menschen aus dem Iran oft 10, 12 Stunden lang.
Und aufsuchend heißt, ihr geht jetzt direkt in die Asylunterkünfte?
Claudia: In die Ankerzentren. Die Menschen sind gezwungen, am Anfang im Anker zu leben. Da liegen unsere Flyer aus. Es rufen aber auch Mitarbeiter*innen vom BAMF an und sagen: wir haben da einen Verdacht. Und wir arbeiten mit den Sozialdiensten vor Ort, sie schicken uns die Leute in die Beratung.
Elshaday: Geflüchtete aus Äthiopien trauen sich hier erst nach Jahren zu sagen, dass sie LGBTIQ* sind. Sie haben Angst vor ihrem eigenen Umfeld. Die Verwandten beten ständig für sie, schlagen und überfallen sie. Oder sie werden umgebracht. Von der eigenen Familie. Das ist im Iran nicht so. Da ist es eher staatliche Repression, die Menschen selbst sind offener.
Farzaneh: Ich kannte einen jungen Mann, der mir erzählt hat, dass er sich in seinen Mitbewohner verliebt hat. Irgendwann hab ich ihm gesagt: Wenn du homosexuell bist, solltest du das äußern, denn dann bekommst du einen Aufenthaltstitel. Doch er hat gesagt: „Was? Ich bin doch nicht schwul!“
Eure finanzielle Förderung war, wie man im Film erfährt, immer zeitlich begrenzt und stand auf wackligen Beinen. Hat sich eure Situation mit der Erweiterung eures Angebots verbessert?
Claudia: Insgesamt hat sich die Situation verbessert, wir konnten unsere Stunden aufstocken und mehr Beratung anbieten. Wir werden auch von der Stadt Nürnberg unterstützt. Aber wenn die EU-Projektmittel nach drei Jahren auslaufen, gibt es noch immer eine Lücke bis zur Bewilligung neuer Mittel, da müssen wir uns arbeitslos melden. Das ist seit 15 Jahren so.
Im Film wurden kurz die Geschichten einzelner geflüchteter Frauen erzählt. Da war z.B. Elnara aus Aserbaidschan am Anfang des Films, die Elisabeth Schwemmer zur Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begleitet hat. Zwei Jahre musste sie auf diesen Termin warten; solange durfte sie keine Integrationsmaßnahmen wahrnehmen oder eine Arbeit suchen. Weißt Du, wie es bei ihr seitdem weitergegangen ist?
Claudia: Elnaras Asylantrag wurde zunächst abgelehnt. Sie hat vier Kinder, die Familie war sechs Jahre da, der Mann arbeitet. Sie waren dann in der Härtefallkommission, das hat Lissy alles begleitet, dadurch hatten sie einen gewissen Schutz. Aber während sie im Krankenhaus war, hat eine Mitarbeiterin von der Ausländerbehörde im Landratsamt die Polizei gerufen und die wollten sie aus dem Krankenhaus heraus abschieben. Zum Glück hat das eine Gynäkologin verhindert und Elnara hat auch Lissy erreicht, die sich an die Presse gewandt hat, weil die Abschiebung illegal war. Am Ende konnten sie bleiben.
Gefilmt wurde auch eine Beratungssituation mit einer jungen Afghanin, die mit ihrem kleinen Sohn zu Fuß durch sieben Länder geflohen war. Auch sie musste über zwei Jahre auf ihre Anhörung warten. Im Interview hat sie geweint; ihr größter Wunsch war, das Leben ihres Sohnes endlich zu verbessern. Hat sie am Ende die Chance dazu bekommen?
Farzaneh: Sie hat Aufenthalt bekommen. Afghanische Frauen bekommen eigentlich fast immer Bleiberecht. Aber ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen.
Am Ende des Films kommen Tanja und Kristina aus der Ukraine zu Wort. Das Paar war in der Heimat bedroht und diskriminiert worden und deshalb mit der kleinen Tochter nach Nürnberg geflohen. Im Asylheim mussten die beiden Frauen allerdings erneut Übergriffe fürchten und sich als Schwestern ausgeben. Wie geht es dem Paar inzwischen?
Claudia: Die beiden sind inzwischen seit sieben Jahren hier und wurden anerkannt. Kristina arbeitet als Fotografin; Tanja macht Fortbildungen und bewirbt sich gerade – und beide sind ehrenamtlich aktiv. Die Tochter geht aufs Gymnasium.
Erlebt ihr oft solche Erfolgsgeschichten?
Farzaneh: Die Frauen, die ich auf die Anhörung vorbereitet habe, sind alle anerkannt worden.
Claudia: Wir führen eine Statistik darüber. Zuletzt waren es 230 Menschen, die wir beraten haben und die nicht abgeschoben wurden. Da kommen noch die Geduldeten dazu, die wir ehrenamtlich betreuen, die werden nicht in der Statistik aufgeführt – das sind unterschiedlich intensive Fälle, da sind oft zehn Ehrenamtliche beschäftigt!
Wichtig ist auch unsere Öffentlichkeitsarbeit, unsere Pressekonferenzen zu Genitalverstümmelung, zu Gewalt in den Unterkünften oder zuletzt eine Infoveranstaltung auf dem CSD. Dadurch entsteht erst ein Bewusstsein für bestimmte Themen.
Und wie wichtig ist für euch Supervision?
Farzaneh: Wichtig! Supervision machen wir regelmäßig. Glücklicherweise gibt es viele Erfolgsgeschichten, aber wenn so etwas passiert wie mit der Frau in Kronach, machen wir uns ewig Gedanken über den Fall. Oder wenn eine Frau trotz allen Bemühungen doch am Ende abgeschoben wird. Da macht man sich schnell Vorwürfe. Da müssen wir schon auf uns achten. Aber das Gesetz steht über uns und wir können nicht immer etwas dagegen tun.
Rosa Asyl ruft auf zur Teilnahme an zwei Demos des 8. März Bündnisses in Nürnberg: Am 8. März um 18:30 Uhr Ecke Waaggasse/Hauptmarkt und am 12. März zur Großdemo am Plärrer/Ecke Gostenhofer Hauptstraße.
Am Sonntag wiederholen wir den Film “Wir kämpfen für jede einzelne Frau” – Das Internationale Frauencafé von Vanessa Hartmann. Außerdem gibt es den Film in der Mediathek.
Interview: Vanessa Hartmann