Ob AEG-Gelände oder Quelle – immer wieder gab und gibt es Leerstände in Nürnberg, die Kulturschaffende anlocken. Einige dieser leerstehenden Immobilien werden mit Zwischenraumnutzungen wiederbelebt – und so für Kreative zu Freiräumen auf Zeit. Auf dem ehemaligen AEG-Gelände ist diese Zeit bald abgelaufen: Bis Herbst müssen die Ateliers und Flächen geräumt sein, rund 200 Arbeitsplätze fallen weg. Schätzungsweise die Hälfte der Kreativen verlässt die Stadt. Was bedeutet das für die Betroffenen? Welche Perspektiven gibt es in Nürnberg? Wir haben nachgefragt: Die Künstlerin Eva Nüßlein, Julian Mack vom Fuzzi-Kollektiv und Dr. Marian Wild vom Institut für moderne Kunst erzählen von ihren Plänen. Am Sonntag, 23.5., wiederholen wir unseren Film zum Thema.

“(Frei)Räume auf Zeit – Zwischenraumnutzung in Nürnberg” entstand im im Spätsommer 2020 an verschiedenen Orten der Zwischenraumnutzung, unter anderem auch auf AEG. Der Film von Valeska Rehm und Bastian Schulze wird am Sonntag, 23. Mai, 19, 21 und 23 Uhr im Franken Fernsehen wiederholt. Livestream zu den Sendezeiten auf frankenfernsehen.tv

Hier geht es zum Film „(Frei)räume auf Zeit“


Eva Nüßlein

Eva Nüßlein hat Freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert. Sie arbeitet noch bis Oktober im Bau 61 in den ehemaligen Werkshallen auf AEG, danach möchte sie sich neu orientieren. Neben der Malerei singt sie in der Band AMBIVIOLENZ.

„Neben meiner Kunst verdiene ich mir im Einzelhandel etwas dazu, da bekomme ich derzeit wegen Corona Kurzarbeitergeld für null Stunden Arbeitszeit – also eine Art Grundsicherung. Da ich keine Rücklagen habe, muss ich schon schauen, wo ich bleibe. Trotzdem hatte das Ganze auch auch etwas Gutes: Durch die zusätzliche Zeit konnte ich viel freier arbeiten als sonst. Auch die Perspektive, dass sich mit dem Auszug auf AEG vieles in meinem Leben verändern wird, hat mich dazu angespornt nochmal richtig produktiv zu werden und besonders viel Zeit in meinem Atelier zu verbringen.

Ich glaube ich wäre auch ohne die Kündigung früher oder später weggegangen, für mich ist die Situation also in Ordnung. Es gibt aber auch viele Künstler*innen, bei denen das anders ist. Leute mit Kindern und Familie bleiben natürlich eher hier, die anderen, die frisch aus dem Studium kommen, orientieren sich neu. 

Ich selbst ziehe einen Neustart in einer anderen Stadt ernsthaft in Erwägung, deshalb halte ich mich vorerst aus Atelier-Neugründungen in Nürnberg raus. Allerdings ist der Plan noch unkonkret, da hängen ja verschiedene Faktoren mit dran: Ich muss einen Job finden, ich brauche eine neue Wohnung, einen Arbeitsplatz. Das ist teuer..

Was mich am meisten in Nürnberg hält, jetzt, wo das Atelier wegbricht, ist definitiv meine Band – das wäre auch der einzig richtig große Wermutstropfen bei einem Umzug. Aber: Wenn alle Lust darauf haben, würde es hoffentlich auch mit unterschiedlichen Wohnorten weitergehen. Da versuche ich optimistisch ranzugehen. 

Es gibt viele tolle Künstler*innen, die bleiben. Trotzdem wünsche ich mir für Nürnberg, dass nachhaltiger geplant wird. Der Umbau des Kolosseums dauert einfach zu lange. Wer als Künstler*in eine ernsthafte Karriere plant, kann nicht drei Jahre auf sein Atelier warten. Man muss rechtzeitig Alternativen suchen und nicht erst, wenn das Problem akut ist. Man sollte versuchen für die Zukunft daraus zu lernen… ”

 

Julian Mack

Julian Mack ist Gründer des Skater-Kollektivs FUZZI. Seit 2013 baut die Gruppe in Eigenregie eine Brachfläche auf dem AEG-Gelände zu einem Skatepark um – aus recycelten Materialien und Beton. 

„Auch wir haben die offizielle Kündigung zum Oktober bekommen. Deshalb haben wir vor ein paar Wochen ein Konzept für die Nutzung einer Alternativfläche bei der Stadt eingereicht, Material und Arbeitsgeräte aus unserer Werkstatt in Listen zusammengefasst und selbst begonnen, geeignete Orte ausfindig zu machen. Wir wollen den Umzug auch dafür nutzen, die Struktur unseres Kollektivs anzupassen: Für den Neuanfang möchten wir einen Container kaufen, um flexibler zu werden. Das heißt: Es geht darum, nicht mehr vordergründig einen Skatepark zu erschaffen, sondern eher den Werkstatt-Aspekt und gemeinschaftliches Wirken in den Mittelpunkt zu rücken. Ein neuer Standort würde uns auch die Möglichkeit bieten mehr Sichtbarkeit für uns zu schaffen. Einen öffentlichen Ort zu gestalten, Kultur, die zugänglich ist für jeden, der daran teilhaben möchte.

Ich sehe in der Stadt schon einen Mangel an Räumen, die ähnlich wie unser ‚Mitmachort‘ funktionieren. Im Endeffekt geht es um selbstverwaltete Konzepte, die zur Beteiligung einladen. Zwar kann man in einem Ballungsraum nicht verlangen, dass einem die Räume hinterhergeworfen werden, aber gleichzeitig wäre es natürlich schön zu spüren, dass es ein gewisses Interesse an der Erhaltung und Förderung dieser Orte gibt. Für einen Großteil der Stadtbevölkerung macht es den Wohnort ja auch lebenswerter. Dazu zählen einerseits natürlich die gepflegten Parks, andererseits aber auch vielseitige subkulturelle Angebote. Die Magie, die von solchen Orten ausgeht, entsteht eben nicht durch perfekte Struktur und Verwaltung, sondern durch die Abwesenheit davon. Da muss man aufeinander zugehen und Kompromisse finden.” 

Bild: FUZZI-Kollektiv

Dr. Marian Wild

Dr. Marian Wild ist Diplomingenieur, hat an der TH Nürnberg Architektur studiert und danach an der FAU Erlangen-Nürnberg in Kunstgeschichte promoviert. Er schreibt für die Kultursparte im Stadtmagazin „Curt”und ist Ansprechpartner der Initiative „200 Ateliers plus X” des Instituts für Moderne Kunst. Diese unterstützt die Nürnberger Künstler*innen in Kooperation mit dem neu geschaffenen städtischen Raumkompass bei der Suche nach Arbeitsräumen. 

„Ich habe ein kleines Büro im Atelierhaus Defet in Sündersbühl. Über das Curt-Projekt „Locked in“ bin ich mit einigen regionalen Künstler*innen ins Gespräch gekommen und habe unter anderem erfahren, wie frustrierend die Suche nach bezahlbaren Räumen für Kunst und Kultur in Nürnberg ist. Im Institut für moderne Kunst haben wir uns gefragt: Wo gibt es Leerstände, die noch in Frage kommen? Wäre es möglich, ein Projekt zu starten, um Eigentümer*innen besser zu erreichen? Im Winter bin ich dann durch St. Leonhard gelaufen, habe Fotos von geeigneten Immobilien gemacht und sie der Stadt vorgelegt. Ich komme ja aus der Architektur und hab’ dadurch einen Blick dafür, welche Gebäude vielleicht passen könnten. Im Dezember startete dann die Kooperation mit dem städtischen Raumkompass. Der Raumkompass konzentriert sich eher auf Ateliers, Zwischennutzungen und größere Objekte zur Nutzung in ganz Nürnberg, unsere Kooperation „200 Ateliers plus X” legt den Fokus auf kleinere Ateliers in den Stadtteilen St. Leonhard und Schweinau. Die Idee dahinter ist, dass man eine Art Kunstquartier schaffen könnte. Dann hätten Kulturschaffende die Möglichkeit, sich auszutauschen, zusammen zu arbeiten und Veranstaltungen zu planen. Als Alternative zu AEG braucht es eben einen Ort mit einer kritischen Masse, um eine ähnliche kreative Atmosphäre zu ermöglichen.

Wenn wir einen potentiellen Leerstand ermitteln konnten, versucht die Stadt dann die Eigentümer*innen ausfindig zu machen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Inzwischen sind es um die 30 Objekte, die wir in St. Leonhard abfragen. Ich verstehe, wenn Künstler*innen frustriert sind, dass die Suche nach großen Immobilien noch andauert. Verschiedene Seiten arbeiten aber gerade intensiv an Lösungen und sind im Gespräch mit Eigentümer*innen. Es geht also schrittweise voran. Die Kooperation mit dem Raumkompass hat mir auch nochmal gezeigt: Passende Räume zu finden ist oft komplizierter, als es von außen wirkt. Es bedeutet ja nicht einfach nur, dass man eine große Halle findet und dann da Künstler reinsteckt – die Nutzung muss für beide Seiten passen, baurechtliche Fragen müssen geklärt werden. Das sind unglaubliche Rattenschwänze an Verwaltungsarbeit, die man beachten muss, das macht den Prozess schon langwierig. Letztendlich wollen wir aber alle das gleiche: Dass Nürnberg ein guter Standort bleibt für eine vitale Kulturszene.”

Das Institut für moderne Kunst kann bei der Vermittlung eines geeigneten Ateliers Hilfestellung leisten. Durch die Kooperation mit dem Raumkompass steht das Institut zudem bei den Themen Förderung, Kooperation und Vernetzung beratend zur Seite. Wer im Besitz einer entsprechenden Gewerbe-Immobilie in Schweinau oder St. Leonhard ist, kann sich an das Institut für moderne Kunst wenden. Bei Fragen zu Mieter*innensuche oder Baurecht steht der Raumkompass des Amtes für Kultur und Freizeit beratend zur Seite. 

Die Interviews führte Valeska Rehm.